Die wesentliche Motivation zur Einführung der Gustavson-Normalform war die Suche nach einem weiteren Integral der Bewegung, das man sich in der Tat mit der Gustavsonschen Theorie in Gestalt von verschaffen konnte. Mit ist hier der quadratische Anteil der durch die Transformation auf Normalform gebrachten Hamilton-Funktion gemeint. In [Gu66] wird gezeigt, daß eine Hamilton-Funktion mit einem quadratischen Anteil vom Gustavson-Typ (1.61) über hinaus noch weitere unabhängige Integrale der Bewegung1.9besitzen kann.
Genauer gilt folgende Aussage: Wir betrachten eine Hamilton-Funktion, die
in Gustavson-Normalform ist und deren Frequenzen in
-facher Resonanz sind, mit . Das heißt, die
Frequenzen genügen linear unabhängigen
Kommensurabilitätsbedingungen
(1.74) |
(1.75) |
Diese Aussage ist eine direkte Folge der Tatsache, daß in Gustavson-Normalform ist: Zum Beweis untersucht man den Ausdruck in den ,,diagonalisierenden`` Phasenraumkoordinaten aus Gl. (1.73). Es zeigt sich dann sofort, daß diese Poisson-Klammer genau dann verschwindet, wenn die der Bedingung (1.103) genügen.
Für eine Hamilton-Funktion in DFS-Normalform stellt sich die Situation
nicht mehr so überschaubar dar. In Analogie zur Gustavsonschen Theorie
liegt es nahe zu vermuten, daß , welches in der DFS-Theorie die
Rolle von übernimmt, ein Integral der Bewegung sei. Dies gilt aber
nicht, denn es ist
(1.78) |
Bei der Untersuchung von sogenannten magnetischen Flaschen (vgl. Kapitel
2) sind Hamilton-Funktionen mit
Über die speziellen, von Gustavson (Gl. (1.61)) bzw. Dragt und Finn (Gl. (1.105)) betrachteten
Hamilton-Funktionen hinaus gibt es weitere
Funktionen in
, die als quadratische Anteile
von Potenzreihen-Hamilton-Funktionen auftreten
können1.10.
Die Verallgemeinerung des Dragt-Finnschen Resultates auf ein beliebiges
dieser
gelingt
mit Hilfe einer geeigneten Zerlegung von . Wir gehen von der
allgemein gültigen Darstellung (1.95) des quadratischen
Anteils der Hamilton-Funktion aus:
und damit auch werden durch die
-Matrix eindeutig festgelegt. Wir spalten mit Hilfe der
Jordan-Chevalley-Zerlegung [Hu87] in einen
(über )
diagonalisierbaren Anteil und einen nilpotenten Anteil auf:
In Anhang A benutzen wir die Galinsche Klassifizierung der quadratischen Hamilton-Funktionen, um für (fast) alle Hamilton-Funktionen aus die entsprechenden Integrale zu bestimmen.
An dieser Stelle zeigt sich noch einmal ein Charakteristikum der Normalformentheorie: Es werden Aussagen über Elemente des hochdimensionalen Vektorraumes gemacht, wobei vor allem Eigenschaften des im Vergleich zu niedrigdimensionalen in die Argumentation eingehen. Konkret heißt dies bei der Bestimmung von Integralen der Bewegung, daß lediglich die Jordan-Chevalley-Zerlegung einer -Matrix gefunden werden muß, um aus der in Normalform befindlichen Hamilton-Funktion ein Integral der Bewegung zu bestimmen, dessen Grad -Anteile Elemente des -dimensionalen Raumes sind. Eine entsprechende Eigenschaft macht man sich auch bei der Transformation auf Normalform zunutze: Um den Grad, bis zu dem sich die Hamilton-Funktion in Normalform befindet, um eins zu erhöhen, muß man Elemente des hochdimensionalen Vektorraumes manipulieren. Diese Aufgabe wird dadurch vereinfacht, daß die wesentlichen Gleichungen (1.91) und (1.93) Strukturen (von bzw. ) in dem nur -dimensionalen Vektorraum betreffen.
Ein zweiter wichtiger Punkt, der an dieser Stelle nicht außer acht gelassen werden darf, ist die Tatsache, daß sowohl als auch lediglich formale Integrale der Bewegung darstellen. Zwar kann man jede Hamilton-Funktion in Potenzreihengestalt in DFS-Normalform überführen, indem man Grad für Grad homologische Gleichungen löst und entsprechend Lie-transformiert. Daß aber das Resultat dieser sukzessiven Transformationen für konvergiert, ist keineswegs sichergestellt. Beispielsweise kann im Falle eines nichtintegrablen Systems mit zwei Freiheitsgraden der Bewegung die Normalform-Transformation nicht konvergieren, weil man sonst ein zweites Integral der Bewegung erhielte. Dessen Existenz ist aber für ein nichtintegrables System gerade ausgeschlossen.
Wir gehen an dieser Stelle noch auf den Begriff des Quasiintegrals
ein. Selbst in dem Fall, daß die Transformation der Hamilton-Funktion
auf Normalform konvergiert, werden wir in der Praxis die Berechnung der
Normalform und damit auch des Integrals bei einem endlichen Grad
abbrechen, weil die homologische Gleichung für jeden Grad neu gelöst
werden muß und man in der Regel kein allgemeines, für alle
gültiges Transformationsgesetz findet. Deshalb erhalten wir nur eine
Approximation
,
(1.83) |
(1.84) |
(1.85) |
Gl. (1.112) verdeutlicht, daß das formale Integral bzw. die entsprechenden Quasiintegrale im allgemeinen eine sehr komplizierte algebraische Struktur aufweisen, im Gegensatz zur Darstellung (1.108) des Integrals als quadratisches Polynom in den Koordinaten . Diese Komplizierung ist bedingt durch die (unendlich vielen) bei der Rücktransformation benötigten Lie-Transformationen .
Bei der Berechnung von Quasiintegralen für konkrete Beispielsysteme -- in den Kapiteln 4 und 5 -- wird sich zeigen, daß die Oszillation des Quasiintegrals aufgrund des Fehlerterms in Gl. (1.112) schon für kleine Werte von unbedeutend werden kann. Andererseits ist es auch möglich, daß der Fehlerterm selbst für kleine und größere dominiert und somit nicht annähernd konstant wird. Welcher dieser Fälle eintritt, hängt von der Chaotizität des relevanten Gebietes des Phasenraumes ab. Wir werden uns diesem Problem in Kapitel 4 zuwenden.
Selbst im Fall der Nichtkonvergenz der Normalformtransformation stellen aber die niedrigsten Terme der Normalform in der Regel ein sehr nützliches Hilfsmittel zur Analyse des Phasenportraits dar und ermöglichen die Untersuchung von periodischen Orbits, invarianten Tori und deren Bifurkationen [ShRe82,Ro84].